Kinderfahrräder – Zwei Reifen für Drei-Käsehochs

ARD Ratgeber Technik vom 14.04.2007

Wir hatten den Sendebeitrag vorab angekündigt und möchten Euch den Inhalt nun nicht vorenthalten. Die Dreharbeiten fanden übrigens im Radhaus Altona in Hamburg statt. Unser Kollege Rüdiger Holst hatte hierbei zahlreiche Gelegenheiten sich mit den Interviewgästen auszutauschen und einen Eindruck von deren Arbeit zu gewinnen.

Herausgekommen ist ein Beitrag des NDR, der das entscheidende Augenmerk auf die Qualität und Langlebigkeit von Kinderfahrrad und Laufrad legt. Aus unserer Sicht gibt er allen Interessierten einen guten Überblick und auch eine gute Kauf-Orientierung für die ersten Kinderfahrzeuge.

Den Textbeitrag von Güven Purtul aus dem Ratgeber Technik Redaktionsteam könnt ihr nachfolgend lesen:

Kinder lieben Bewegung

Mit einem fahrbaren Untersatz vergrößern sie ihren Aktionsradius und tun gleichzeitig etwas für ihre Intelligenz. Längst hat die Wissenschaft bewiesen, wie wichtig Mobilität für die geistige Entwicklung von Kindern ist. Doch womit startet die Karriere der angehenden Radler am besten? Die Auswahl ist groß, es gibt „Hobel“ für alle Altersklassen: vom Dreikäsehoch bis zum Teenager. Für die Allerkleinsten bieten zahlreiche Hersteller fahrbare Untersätze an, mit denen sich Bewegung spielerisch erfahren lässt. Neben Klassikern wie dem Bobby Car gibt es zahlreiche Modelle, mit denen Kleinkinder die Wohnung erkunden können. Mit dem „Wutsch“ bietet Puky neuerdings ein Laufrad mit vier Rädern an. Doch außer beidfüßigem Abstoßen lernen die Kleinen auf solchen Fahrzeugen nicht viel, meint Professor Volker Briese, Fachreferent für Verkehrpädagogik beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC). Grund: Sie trainieren ihren Gleichgewichtssinn damit kaum.

Los geht es mit dem Laufrad

Experten sind sich einig: Den besten Einstieg ins Radlerleben mit dem größten Lerneffekt bietet das Laufrad. Damit können schon Zweijährige richtig Gas geben. Die motorische Herausforderung ist für dieses Alter perfekt. Als Antrieb und Bremse dienen die Kinderfüße. Spielerisch lernen die Kinder auf den Laufmaschinen das Gleichgewicht zu halten. Damit ersparen sie sich später beim „richtigen“ Fahrrad die leidigen Stützräder.

Laufräder machen auch das Dreirad überflüssig und sind ein guter Ersatz für Kleinkindroller, meint Volker Briese. Ein Laufrad lässt sich einfacher fahren als ein Roller. Letzterer hat jedoch den Vorteil, dass das Abspringen bei brenzligen Situationen leichter fällt.

Da Laufräder als Spielzeug gelten, haben sie keine Straßenzulassung. Deshalb ist keine Sicherheitsprüfung vorgeschrieben. TÜV-Süd und TÜV-Rheinland bieten zwar eine Prüfung für das GS-Zeichen (Geprüfte Sicherheit) an. Doch kaum ein Produzent lässt sein Laufrad freiwillig testen, da das Geld kostet.

Vorsicht bei Schnäppchen

Doch selbst wenn sie ein solches GS-Zeichen tragen, ist bei Schnäppchen Vorsicht geboten. Im Sommer 2006 rief Tchibo ein Laufrad mit dem Namen „Racing Junior“ zurück, das für 50 Euro verkauft worden war. Begründung: „Die Lenkergabel kann bei Gebrauch brechen.“ Die Verbindung zwischen Lenkstange und Gabel war mit verschraubten Holzteilen denkbar schlecht gelöst. Das Heikle an diesem Fall: Das Laufrad war durch den TÜV-Rheinland geprüft worden. „Wahrscheinlich hat das Tchibo-Laufrad die Normen erfüllt“, sagt Robert Ziegler vom TÜV-Süd, „die Frage ist, ob die Normen ausreichend sind.“

Dass ein Laufrad keine scharfen Ecken und Kanten haben darf, das versteht sich von selbst – eigentlich. Wichtig ist außerdem die Sitzposition. Bei vielen Laufrädern ist der Sattel zu niedrig eingestellt, so dass Kinder nicht frei fahren. Nur wenn die Beine beim „Anschub“ gestreckt werden können, ist die Fortbewegung effektiv. Juliane Neuss vom Fachausschuss Technik des ADFC empfiehlt einen in der Höhe verstellbaren Sattel, damit das Laufrad einige Jahre nutzbar ist. Kritik übt sie am Gewicht vieler Modelle: „Laufräder sind für Kinder ab zweieinhalb bis drei Jahren gedacht. Die Kinder sind sehr leicht, dementsprechend müssen die Räder auch leicht sein. Das heißt: Ein Kind, welches vielleicht 18 Kilo wiegt, sollte kaum mehr als drei bis vier Kilo Laufradgewicht bewegen müssen.“

Leichte Laufräder für leichte Kinder

Das ist am ehesten bei Laufrädern aus Holz gegeben. Ein Klassiker ist z.B. das „Likeabike“ Spoky von Kokua mit Luftbereifung und Speichenrädern. Die Sattelhöhe lässt sich in vier Stufen von 32 bis 41 Zentimeter Höhe einstellen. Mit 3,3 Kilo ist das Spoky leicht, allerdings ist es mit circa 150 Euro auch vergleichsweise teuer.

Es gibt deutlich günstigere Modelle wie das Puky LR1 für knapp 70 Euro. Das bietet einen tiefen Einstieg und ein Trittbrett für sicheres Auf- und Absteigen. Das Stahllaufrad wiegt mit 4,8 Kilo aber deutlich mehr als das Spoky aus Holz.

Es gibt noch schwerere Modelle, wie das „Rennrad“ von Development Engineering. Dessen Vorteil: Ist der Gleichgewichtssinn ausreichend geschult, lassen sich mit wenigen Handgriffen Tretkurbeln und Pedale montieren. Doch kombinierte Laufmaschinen, die sich später zum Fahrrad umrüsten lassen, sind häufig schwer und deshalb für Zwei- bis Dreijährige eigentlich nicht geeignet. So wiegt das „Rennrad“ schon ohne Pedale circa sieben Kilo. Kostenpunkt: 199 Euro.

Ab vier Jahren: Spielrad

Ist der Gleichgewichtssinn ausreichend geschult, wird es Zeit für das erste Spielrad. Das sind Fahrzeuge, die „üblicherweise zum spielerischen Umherfahren im Vorschulalter“ benutzt werden. Die Ausstattung ist kindgerecht: Rücktritt- und Vorderradfelgenbremse, geschlossener Kettenkasten aus Kunststoff, hoher Lenkerbügel, Reifengröße von 12 bis 18 Zoll. Der Rahmen sollte einen tiefen Durchstieg ermöglichen.

Zusätzliche Komponenten wie eine Gangschaltung würden das Kind nur ablenken. Unter acht Jahren haben Kinder Schwierigkeiten, mehrere Bewegungsabläufe miteinander zu koordinieren. Deshalb sollen die Kinder zunächst lernen, in die Pedale zu treten und gleichzeitig die Balance zu halten. Auch die Nutzung der Bremsen statt der Füße ist eine neue motorische Herausforderung. Eine Lichtanlage benötigen Spielräder nicht, da sie üblicherweise nur am Tage auf Spielflächen genutzt werden.

„Stützräder machen lernpsychologisch überhaupt keinen Sinn“, sagt Fahrrad-Experte Gunnar Fehlau, „auf dem Laufrad lernt man den Gleichgewichtssinn perfekt und würde den dann auf einem Fahrrad mit Stützrädern wieder verkümmern lassen.“ Gleichgewicht ist eine dynamische Angelegenheit und lässt sich nicht statisch erlernen. Durch Stützräder würde der Lernprozeß unnötig erschwert. Dennoch stehen Spielräder im Laden häufig mit Stützrädern herum. Der Grund ist, dass die Räder so problemlos von den Kleinen getestet werden können. Nach dem Kauf sollten die Eltern sie jedoch so schnell wie möglich abschrauben.

Kaufkriterien für das erste Kinderfahrrad

Der Rahmen sollte einen niedrigen Durchstieg haben, damit das Kind leicht Auf- und Absteigen kann. Die Sattelhöhe muss so einstellbar sein, dass beide Füße den Boden erreichen. Gelingt das nur mit den Fußspitzen, obwohl sich der Sattel ganz unten befindet, ist der Rahmen zu groß. Zu klein ist er, wenn die Sattelstütze über die Begrenzungsmarkierung herausgezogen ist und dabei beide Füße auf dem Boden aufstehen. Zur Überprüfung der Rahmengröße sollte das Kind Probesitzen.

Kinderräder werden zwar niedrig gebaut, „doch leider auch viel zu kurz“, meint Juliane Neuss. Sie demonstriert das an einem Spielrad, indem sie den Lenker komplett einschlägt, so dass das Lenkerende über den Sattel reicht. „Wenn das Kind jetzt hier auf dem Sattel sitzt, dann kriegt es den Lenker in den Bauch“, kritisiert Neuss. „Das müsste nicht sein, wenn der Lenker zehn Zentimeter weiter weg wäre, dann würden auch die Kinder wirklich entspannt auf dem Rad sitzen.“

Kinderstraßenrad

Das Kinderstraßenrad ist das erste verkehrstaugliche Gefährt für kleine Radler. Es hat mindestens 20-Zoll-Reifen, einen Stahlrahmen mit herabgesetztem Durchstieg, eine Drei-Gang-Nabenschaltung mit Rücktritt, einen einfachen Klappen-Gepäckträger, Schutzbleche und eine Lichtanlage mit Seitendynamo. Damit wiegt es etwa zwei Kilogramm mehr als ein Spielrad.

Günstige Kinderfahrräder sind oft von geringer Qualität. Selten bauen Hersteller extra Teile, die für Kinder geeignet sind. Beispiele sind zu lange Tretkurbeln, die zu einer schlechten Beinhaltung führen oder Bremsgriffe, die für kleine Kinderhände viel zu groß sind. Das kann sich im Ernstfall fatal auswirken.

LKW-Bremsen im Kleinwagen

Ebenso problematisch sind zu scharfe Bremsen. So haben V-Bremsen ein Hebelverhältnis für 28 Zoll, „überbremsen“ aber bei 20-Zoll-Rädern. Da macht ein Kind bei Vollbremsung leicht einen „Abflug“ über den Lenker. Den Herstellern ist nicht mal ein Vorwurf zu machen, denn die Vorschriften sind widersinnig: Ab einer Sattelhöhe von 635 Millimetern gelten Kinderräder normativ als Erwachsenenräder. Deshalb gilt die DIN 14764 nicht nur für City- und Trekkingfahrräder, sondern auch für Kinderräder mit 20-Zoll-Reifen. Die Folge: Kinderräder müssen eine Bremsverzögerung erreichen, die für ein Gesamtgewicht (Fahrer plus Rad) von 100 Kilo reichen würde. „Das ist, als ob man LKW-Bremsen in einem VW-Golf verbauen würde“, meint der Fahrrad-Sachverständige Dirk Zedler.

Weiteres Problem: Eltern kaufen Kinderräder häufig zu groß – zum Reinwachsen. Immer wieder stellen Verkehrserzieher fest, dass die Fahrräder der Kleinen nicht altersgerecht sind. Das gilt vor allem für die beliebten – weil billigen – Räder aus dem Supermarkt. Die glänzen zwar durch allerlei „optischen Schnickschnack“. Eine Federung etwa sieht zwar wichtig aus, ist aber nur unnötiger Ballast, denn auf das geringe Gewicht eines Kindes spricht sie in der Regel gar nicht an. Mit derart unnötiger Ausstattung aufgemotzte Kinderräder wiegen nicht selten an die 20 Kilo und damit zuweilen mehr als die Räder der Eltern, kritisiert Juliane Neuss.

Lieber mitwachsen statt reinwachsen

Deshalb entwickelte sie vor einigen Jahren gemeinsam mit der Firma Patria das Skippy, ein Kinderrad mit tauglichen Komponenten, das mit Vollausstattung inklusive stabilem Gepäckträger 13,5 Kilo wiegt. Das Besondere am Skippy: Es wächst mit seinem Besitzer und zwar nicht nur in der Höhe. Zieht man den Sattel aus, vergrößert sich auch dessen Abstand zum Lenker. Grund: Die Winkel von Sattel- und Lenkerrohr sind unterschiedlich.

Damit eignet sich das Skippy für einen großen Altersbereich. Schon Fünfjährige kommen problemlos mit den Füßen auf den Boden, und eine bequeme Haltung lässt sich bis zu einem Alter von zehn Jahren einstellen. Aber diese Flexibilität kostet mehr als eine Kleinigkeit: Erhältlich ist das Skippy ab 542 Euro, immerhin voll ausgestattet.

Auch die Firma Velotraum baut Räder mit speziell für Kinder entwickeltem Rahmen. Noch leichter als das Skippy, aber mit mindestens 618 Euro auch noch teurer. Eine hochwertige Ausstattung und geringes Gewicht haben eben ihren Preis.

[Quelle: NDR, Ratgeber Technik, Güven Purtul]